Seit 1993 kümmerten sich einige Mieterinnen um das damals von der WBM verwaltete rückübertragungsbelastete Haus (Hof- und Fassadenbegrünung u.a.) in der Anklamer Straße 54 (Sanierungsgebiet Rosenthaler Vorstadt), angrenzend an den Friedhof der Elisabeth-Himmelfahrt-Gemeinde. Eine Mieterinnengemeinschaft im engeren Sinne entstand im Sommer 1998 durch den von der großen Mehrheit getragenen Entschluß, mit Unterstützung einer Genossenschaft das von der Jewish Claims Conference zur Versteigerung ausgebotene Haus zu kaufen, um es einerseits selbst zu sanieren und es andererseits dem Zugriff fremder Interessen zu entziehen. Von Anfang an war der Traum vom selbstbestimmten Wohnen der Notwendigkeit langfristiger Finanzierung unterworfen, Beispiele in der Nachbarschaft, die öffentliche Förderung und die Genossenschaft als kompetenter Partner unterstützten die Entscheidung, sich mit eigenem Geld daran zu beteiligen. Die sich bildende Hausgemeinschaft entwarf an ganz konkreten Problemen und Erfahrungen (Hof-, Laden-, Keller- und Dachbodennutzung, siehe Kasten) Denk- und Handlungsräume, die bereits in dieser Phase von den Finanzierungszwängen eingeschränkt wurden. Doch Denkräume bzw. Phantasietätigkeit einmal entlassen, ließen sich nicht mehr aufhalten. Sie sitzen im Hof sommers, im Winter treffen sie sich in ihren Wohnungen; in Vorbereitung der Auktion formulieren sie in Auseinandersetzung mit der Genossenschaft, die ein Finanzierungskonzept vorlegt, die notwendige Beteiligungshöhe der Genossenschaftsmitglieder. Zwei Erfahrungen werden aktuell; dass sie mit Eigenmitteln in Form von Geld oder Eigenleistung kein privates Eigentum an Wohnraum schaffen werden und dass auch der genossenschaftliche Besitz den finanziellen Zwangsbedingungen unterworfen ist. Die Gedanken kreisen ums Haus, das Sanierungsgebiet ist ein Viertel mit besonderen Rahmenbedingungen, die Banken nehmen darauf keine Rücksicht, noch bleiben die Gedanken im Haus. Immer, wenn die vorliegenden Fragen im Konsens entschieden wurden und sich die Mieterinnen entspannen, beginnt es zu dämmern, dass ein Haus, eine Straße, ein Viertel Menschen beherbergt, die über die Zeit, die sie dort verbringen, hinaus, über die Wohnung, das Haus, die Straße, das Viertel hinaus Lebensentwürfe bereitstellen. Kein Haus, das nicht betretbar, benutzbar, das nicht nach außen, dem Fremden und Unbekannten zugänglich ist, das auch nicht innere Formbarkeit und Wandlungsfähigkeit besitzt, ist geeignet, menschlichen Lebensentwürfen dienlich zu sein.

Die Auktion bot den Mieterinnen eine ebenso unmittelbare körperliche Erfahrung wie die Keller-Raves, die Gartenparties, die Einkaufsgenossenschaft. Die gespannte Erwartung und das durch den ebenso aufgeregten Genossenschafter erhöhte Hoffnungsbrennen zerplatzten im Nu, als die von der Bank unerbittlich gesetzte Marge innerhalb von Sekunden überboten wurde. Ein leicht beschreibbarer Konflikt stellte sich ein zwischen Hausbesitzern im allgemeinen und den Mieterinnen. Die Auktion war neben dem schmerzhaften "Verlust" des Hauses entlarvend: Grund und Boden, Häuser, ganze Stadtviertel und -komplexe werden wie jede andere beliebige Ware feilgeboten, an Lebensraum knüpfen sich Profiterwartungen. Man lernt schnell während einer solchen Auktion, dass neben den spekulativen Gewinnmöglichkeiten aus der Lage des Grundstücks und der Intensität der Bebauung der Handel mit Haus, Grund und Boden von einer gesellschaftlichen Gruppe dominiert wird wie der Handel mit Schweinehälften oder Freizeitbekleidung. Es blieb im Moment die Erfahrung gemeinsamer Ohnmacht, sie fühlten sich verurteilt zum Stillhalten, gezwungen zur Untätigkeit, ausgeschlossen vom Schauplatz der Handlung: Ein Territorium oder eine territorial gesicherte Veranstaltung sind nicht zugänglich, sei es, dass die Ausgeschlossenen sich nicht einfügen, so dass ihnen der Zugang verehrt wird oder im Falle des Abweichens vom strikt geregelten Verhaltenskodex der Ausschluß erzwungen wird. In jedem Fall kann eine solche Erfahrung die Gruppenbildung unterstützen, bleibt jedoch stark am Gruppenkörper gebunden. Den einzelnen treibt eine solch massiv erfahrene Einflußlosigkeit gewöhnlich auf sein vermeintlich persönliches Territorium, seine Wohnung bsplw., zurück. Wie durch einen Einbruch in die "eigenen vier Wände" verbleibt auch in unserem Fall bei den Mieterinnen nur noch der Körper als Eigenes, doch als unabschließbare Hülle konnte er den Angriffen sich nur erwehren durch Versteifung, erst porös dem Außen begegnend kann er daran gehen, die Bedingungen seiner Niederlagen zu verstehen. Unsere Mieterinnen schildern genau dieses körperliche Unbehagen: Als ob in sie eingegriffen worden wäre. Zu jedem Treffen erscheinen sie resigniert, gelähmt und nähern sich auch der "eigenen" Gruppe vorsichtig, um im Laufe des Gesprächs die erworbene Erfahrung in der Hausgemeinschaft zurückzugewinnen. Ihr Anliegen gehört zum Haus, obgleich das Haus jetzt anderen gehört.

Nach der Auktion blieb ihnen nur die Hoffnung, dass das Sanierungsgebiet und dessen Institutionen und Verfahrensregeln einen gewissen Schutz bieten würden. Die neuen Besitzer (eine Gruppe von fünf Personen, u.a. Architekten und Schreiner) präsentierten sich bei einem ersten Treffen in den Räumen des Koordinationsbüros als weiche Investoren, denen es bei ihrer Kapitalanlage um "Alterssicherung" ginge. Sie würden für eine verträgliche, ökologisch bedachte Sanierung ohne Druck auf die Mieterinnen stehen. Ob die Sanierung mit öffentlicher Förderung oder frei finanziert durchgeführt werden solle, werde noch zu prüfen sein. Bei den Mieterinnen bestand eine aufmerksame Bereitschaft, acht zu geben. Über das oberflächliche Bekanntwerden ging dieses Treffen nicht hinaus, zumal das Koordinationsbüro nicht mehr als die bekannten Leitsätze vertrat, daneben aber auch deutlich machte, dass sich die Zeiten verhärtet hätten, besonders für die Sanierungsträger; Mieterinnen hätten gleichwohl gerade einen günstigen Markt für sich. Ein Tenor, der von unterschiedlichen Seiten, Mieterverein mit eingeschlossen, das Denken anstößt. Die fluktuierende Mieterin ist ein flexibler Mensch, und wer wollte nicht heute flexibel sein. Für sich trägt sie einen fremden Mantel aus Verordnungen und Bestimmungen, ihre Sprache findet sie in der Wohnungsmöblierung, ihr Herz liegt auf Balkon oder Fensterbrett, morgen, sagt man, kannst Du in Madrid, übermorgen in Schwedt an der Oder, im Urlaub auch mal mit Sonnenterrasse wohnen.

Die Mieterinnen jedenfalls erwarteten Besuch, die Besitzer wollten messen, was sie erstanden hatten, dann erst könne man in Zahlen gießen, was werden solle, durch harte Zahlen erst ließe sich über Wohnen sprechen. Zahlen wiederum machten die Mieterinnen, weiterhin acht gebend, aufmerksam; sie hatten soeben eine eindrückliche Erfahrung mit Zahlen gemacht. Die einen sperrten sich länger, die anderen erwarteten Neues, so dass die Hausbesitzer Gelegenheit fanden, auf gewohnte Art ihre weichen Hebel zu bedienen. In einer leerstehenden Wohnung des Gartenhauses vernahmen die Mieterinnen stehend die Vorschläge für Modernisierung und Sanierung (die Grundrisse der Stockwerke und Ansichten waren an die Tapete geheftet, der Maßnahmenkatalog wurde jeder überreicht). Die Zahlen verdichteten sich zu einer schlechten Performance: Die "Ein bissl was geht immer, richtig was geht nie"-Regie zwang Sprache in einen Körper; auf Einwände reagierte er losgelöst von jeder Verständigung mit unkontrollierbarem Grinsen, als ob Erinnerungen an fern Vergangenes ihn regierten; die Gesten gaben einen Hausbesitzer, wie er groß und echt sein würde, er gab es als Kinderspiel. Das Publikum blieb stumm. "Es wird keine öffentlich geförderte Sanierung geben; wir werden das Haus frei finanziert sanieren; die Mieter werden innerhalb des Hauses umgesetzt. Wir bieten eine sanierte und modernisierte Wohnung." Das Haus, in dem die Vorstellung ausgesetzt wurde, schien den Mieterinnen nicht betroffen; dies merkten sie sich. Die Hausbesitzer hatten nicht in Besitz genommen, sie waren in Besitz genommen worden. Die Mieterinnen wußten in diesem Moment, dass in ihren Wohnungen, unter Bedingungen kapitalistischer Verwertung von Grund und Boden, im besten Fall, und wir reden hier von einem "besten Fall", durch gemeinsame Erfahrungen die Grenzen des Hauses erweitert werden, indem sie Phantasien über das eigene Leben entwerfen und beginnen, dies auch zu kommunizieren. Sie werden das Haus nicht in Besitz nehmen.

Die Mieterinnen, anschließend wieder zusammen im Gespräch, dem bereits bekannten Muster folgend, anfangs gelähmt, ihre gemeinsame Phantasie- und Denktätigkeit am Ende wiedergewinnend, wählten eine Mieterdelegation, die von nun ab mit den Hausbesitzern verhandeln sollte. Die Sprachlosigkeit auf Seiten der Besitzer wurde festgestellt. Wenn die Lage eines Hauses in der Stadt auch über die Höhe des Mietzinses in Form der Lagerente entscheidet, so kommen die Mieterinnen jedoch zu dem Schluß, dass die Attraktivität eines Viertels von der Phantasie- und Denktätigkeit seiner Bewohnerinnen abhängt. Erhöhen wir die Lagerente nicht zur Auszahlung an die Besitzer, erhöhen wir die Lagerente zum Nutzen der Bewohnerinnen auch kommender Generationen. Die Lagerente muß den Mieterinnen zugute kommen. Eigensinniges Handeln ist abhängig vom Querdenken wie von Denkräumen, Handlungsspielräumen, die sich in Ecken, an Kanten und unübersichtlichen und verunsichernden Wegen ergeben. Es bedarf der Widersprüche und Konflikte. Kellerladen und umgebaute Garage im Hof als Lagerräume werden nicht gewollt, jedoch als Ausbildungsstätte für arbeitslose Handwerker, die auf einen Einsatz in afrikanischen Wohnungsbauprojekten auf die dort üblichen eingeschränkten Mittel vorbereitet werden beispielsweise, wirkt die Nutzung des Raumes zukunftsorientiert, die Möglichkeit, sich mit Wohnbedingungen anderer auseinanderzusetzen für die Mieterinnen nicht nur im Haus schafft Bedingungen, die Wohnen und Gewerbe aufeinander hin, d.h. auf ihre Wirksamkeit hin, auf "Nachhaltigkeit", häufig gebrauchtes, schiefes Wort, verdichtet. Unmittelbare Voraussetzung dafür ist eine knapp kalkulierte Miete; die höhere Lagerente wird unmittelbar ausgezahlt. Dies ist eine Forderung, die einen anderen Begriff von Sozialverträglichkeit voraussetzt. Er operiert mit einem Sozialvertrag, der den Faktor Volk radikalisiert.

Die Geschichte der Anklamer Straße 54 erzählt, wie Mieterinnen in einer Großstadt, die von einem Tag zum anderen einem Prinzip unterworfen wurde, ihr Wohnverlangen als ein grandioses Begehren zu formulieren versuchen; sie wollen ihre Triumphe. Doch die Ohnmachtsgefühle nehmen zu, wenn sie in ihren Wohnzellen sitzen und die näher kommenden Baugeräusche hören. Eine erzählt von ihrer Mecklenburger Jugend, dem trägen Wasser und von einer Alten, die in ihrem Haus wohnen blieb, während sie ihren Mann, Freundinnen und Verwandte abholten, Nachkommen nicht zur Schule ließen. Während zweier Diktaturen, nicht störrisch und nicht außerhalb des Landes, doch immer außerhalb, und blieb: "Auf was wartet die denn?" - Während der Gespräche, die sich um Mietsteigerungen, Umsetzwohnungen und Moderniserungsumlagen drehen, taucht ihr Bild auf, als ob sie jetzt beginnt zu fragen, wie wir unsere Stadt umbauen. Unsere Stadt? "Wem gehört die Stadt?", hieß es. - Als die Idee auftauchte, das zur Auktion bestimmte Haus mit Hilfe einer kleinen Genossenschaft zu ersteigern, liegt auch eine von Experten erarbeitete Information zum Sanierungsgebiet vor. Es geht um Grundsätze für die Sanierung der Rosenthaler Vorstadt. "Behutsamkeit" ist ein Begriff, der den Mieterinnen gefällt: "Wenn sich die Igel küssen, dann müssen, müssen, müssen sie ganz ganz fein, behutsam sein."

Auf die Bedürfnisse angesprochen, gewinnen Einsichten eine aktuelle Bedeutung, die unvermittelt aus den Extremen von gemeinsam erfahrener Hilflosigkeit und dem selbstbestimmten Handeln hervorblitzen. Die Verwertung von privatem Haus- und Grundbesitz kennt den Begriff von zukunftsorientiertem Denken nur, insoweit sich die Investitionen rentieren, Grundrente, Intensitätsrente und Lagerente sich realisieren. Ökologische Maßnahmen im engen Sinne (Photovoltaik, Sonnenenergie, Brauchwassertrennung etc.) gewinnen über die zeitgemäßere Ausstattung eines Hauses Zugang in die Sanierungsplanung; Ausbau von Dachboden und Ladenraum fragen ausschließlich nach Steigerung des Ertrages. Die Realisierung von Gewinnen, so erfahren sie von beratenden Fachleuten, besitzen nicht allein deswegen die größte Durchsetzungskraft, weil sich hier das im Kampf der Systeme siegreiche sich verallgemeinert ("globalisiert"), es ist damit auch ein Menschenbild verknüpft, das uns wie einst den Alten in den Skulpturen des Parthenons von den neu errichteten Gebäuden auf der zentralen Stadtbrache einen virtuellen Spiegel entgegenhält.

Zum letzten Treffen vor der Entscheidung, mit diesem Artikel an die Öffentlichkeit zu gehen, brachte jede wie verabredet einen Zettel mit ihren konkreten Wünschen betreffs der Modernisierung ihrer Wohnung und der Abwicklung der Sanierung mit: Umsetzung im Haus war das Angebot der Eigentümer. Jede hatte andere Wünsche. Manche hatte sich bereits um eine kostenlose "Umsetzunterkunft" außerhalb des Hauses bemüht. Irgendwie könnte die Sanierung so abwickelt werden, dass die Besitzer einverstanden wären. Auch hatten sie ja angeboten, selbst Hand anzulegen beim Umzug. Als die Mieterinnen sich gegenseitig so reden hörten, wurde schnell klar, dass sie sich nach den langen Monaten und Jahren mit dem Haus und seinen Möglichkeiten nicht auf eine solch weiche Übernahme einlassen würden. Sie hatten viele Gespräche geführt über ihre eigenen Bedürfnisse, die längst nichts mehr mit dem vom Senat verabschiedeten "Sozialen Konzept" zu tun hatten.

"An den Bedürfnissen der Betroffenen zu orientieren", so heißt es in den "12 Leitsätzen zur Stadterneuerung in Berlin" - Hier wurden sie hellhörig. "Unsere Bedürfnisse, was sind unsere Bedürfnisse?" Schnell hatten sie eine Liste ganz persönlicher konkreter Bedürfnisse, die sich aus den Lebensphasen der Mieterinnen, der Familien und Lebensgemeinschaften ergaben. - Die Bedürfnisse werden an keiner Stelle formuliert; die Erneuerung soll sozial verträglich sein. Zur Erhaltung des Menschen bedarf es neben der täglichen Nahrung auch einer Unterkunft, er ist außerhalb einer Behausung nicht überlebensfähig. Die Form, die Art und Weise, wie wir dieses notwendige Bedürfnis erfüllen, gehört zu dem Bereich, den wir unsere Kultur nennen. Wir nehmen Teil an der Formung dieses Bedürfnisses; wir entwickeln ein Bedürfnis, es zu formen, fern allen Lifestyle-Lodgings. Die Ausfüllung dieses notwendigen Bedürfnisses ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Die Mieterinnen stellen fest, dass die Erfüllung dieses notwendigen Bedürfnisses einem ungleichen Kampf zwischen Hausbesitzern und Mieterinnen überlassen ist, und die Gesellschaft Obdachlosigkeit als persönlichen Makel verwalten läßt. Der virtuelle Mensch auf der Traufe am Potsdamer Platz ist der eine, der andere der vom Kiezphotographen mit Teleobjektiv geprellte Alki vor der Ackerhalle: Die Selektionsmechanismen tragen wir in uns, unsere Blicke hängen am Gegebenen. Widersprüche und Konflikte werden durch Spaltungen erledigt. Diese Stadt ist längst mit Hilfe der "sozial orientierten Berliner Stadterneuerung" dabei, die Selektionen, die auf dem "Arbeitsmarkt" seit Jahrzehnten greifen, um eine gefügig gemachte Masse in billige Mehrfachjobs zu pressen, stadtplanerisch einzubetten: Dort werden sie "freigesetzt" und hier "rausgesetzt". Freie Menschen würden dies nicht mit sich machen lassen; für freie Menschen als Ziel bedarf es anderer Planungen. Zu den menschlich notwendigen Bedürfnissen wie Nahrung, Kleidung und Wohnen gehört auch das "Freisetzen" der Möglichkeiten. Stadtplanung für freie Menschen, wie hört sich das an?

Den Mieterinnen in der Anklamer Straße 54 geht es nicht um einen Kampf gegen die Eigentümer, es geht auch nicht um Ausgleich von divergierenden Interessen; es kann eine zukunftsfähige Planung nur geben, wenn Hausbesitzer und Mieterinnen unter Einbeziehung der hier im Sanierungsgebiet vorhandenen Kompetenz (BFFS, Koordinationsbüro, Betroffenenvertretung etc.) zu einer Zukunftswerkstatt nicht nur für dieses Haus zusammentreten, um die gemeinsamen Interessen in einem offenen Verfahren zu erarbeiten und anzuerkennen. Sie unterwerfen sich einer gemeinsamen Planung.

Dieser Streit zwischen Mieterinnen und Hausbesitzer über die Sanierung kann zu einem Modell für das stagnierende Verfahren der Berliner Stadterneuerung werden.

Anklamer 54

Zukunftswerkstatt für Stadtentwicklung

Anklamer Straße 54

10115 Berlin

030-449 49 91 und 440 70 36

 

 

 

 

 

 

 

 

Kurze Geschichte des Hauses

Unsere Geschichte beginnt 1992. Seit Jahren stehen 4 von 12 Wohnungen leer. Und einige Nebenräume. Nach und nach werden die Wohnungen als Instandsetzungsmaßnahmen vermietet. Die neuen Mieter machen in Eigenleistung die Räume bewohnbar. Das Haus befindet sich in ungeklärten Eigentumsverhältnissen und wird von der WBM verwaltet.1993 wird ein Antrag auf Hofbegrünung im Förderprogramm des Senates gestellt. Dem kann die WBM nur zustimmen, wenn die potentiellen Eigentümer ihr Einverständnis geben. Das Amt für offene Vermögensfragen gibt bereitwillig Auskunft. Das berechtigte Interesse als Mieter reicht aus. 1994 wird mit den Antragstellern, einem Privaten aus Dresden, der Jewish Claims Conference und der WBM, über eine Teilnahme am Hofbegrünungsprogramm des Senates verhandelt. Diese verlaufen ergebnislos, und so begrünen wir auf eigene Faust, mit anerkennender finanzieller Unterstützung der WBM. Die Hoffeste kommen ins Rollen und die Ideen zur Übernahme des Hauses sprießen. 1995 wird mit der Unterstützung des Koordinationsbüros Stadterneuerung (Rosenthaler Vorstadt) das Interesse am Kauf des Hauses durch die Mieter den drei potentiellen Eigentümern schriftlich bekundet. In den nächsten Jahren werden die brachliegenden Potentiale des durch die WBM vernachlässigten Hauses erschlossen. Dazu gehören der Hinterhauskeller als Werkraum und die Garage als überdachter Fahrradraum. In der ehemaligen Waschküche unter dem Dach wird ein Fotolabor eingerichtet, ebenso ein Gästezimmer im 1. Stock. In den ehemaligen Gewerbekeller zieht eine hausbetriebene Einkaufsgemeinschaft für biologisch-dynamisch erzeugte Lebensmittel ein. Bis heute hat sich noch einiges verändert, wilde Nutzungen sind in geordnete übergegangen, stets im Einklang mit allen Mietern. Anfang 1998 steht die Rückübertragung bevor. Es kommt Unruhe bei der Verwaltung auf. Der Keller muss geräumt werden, der Dachboden wird dichtgemacht. Das Haus wird Mitte 1998 der Jewish Claims Conference zugesprochen. Es beginnt eine einmonatige Vorverhandlung zur Übernahme des Hauses durch die Mieter. Daraus wird nichts, das Haus wird zum Höchstgebot an eine Investorengruppe versteigert. Seitdem steht das Haus unter einem enormen Verwertungsdruck.

 

 

Handel mit Wohnraum

Der Weg von der ehemaligen Randlage an der Mauer bei der Bernauer zur Herbstversteigerung 1998 der Deutschen Grundstücks-Auktion AG in den Bankettsaal des Palace-Hotels nehmen ungeübte Mieterinnen und zwei von unseren Partnern, einer kleinen neu gegründeten Genossenschaft, ebenso ungeübt, doch mit einer Bankbürgschaft versehen: Wir wollen mitbieten, wir wollen unser Haus kaufen. Keiner hat je so etwas besucht, die Kinder kommen mit; es soll bunt werden. Wir hatten uns am Vorabend noch ein Transparent bemalt, das wir in den Saal schmuggeln wollten und beim Aufruf "unseres Hauses" schnell, an Regenschirmen geknüpft, hochhalten wollten:

"Anklamer 54 - Nichts für Spekulanten"

Nachdem wir einer oberflächlichen Taschenkontrolle unterzogen worden waren, verteilten wir in Briefumschlägen seriös eingeschlagene Flugblätter im Raum, um dann in kurzer Zeit bis zum Hinauswurf möglichst viele der Besucher zu erreichen. Wir wollten das Haus selbst erwerben und empfahlen den Investoren, auf das Mitbieten zu verzichten; sie würden es mit einer geschlossenen Mieterinnenfront zu tun haben. Der Verkehrswert des Hauses wurde laut Gutachten auf DM 490.000 festgelegt; eine Verkehrswertüberschreitung von 10 % in Sanierungsgebieten gilt als zulässig, so dass uns die Bank mit einem Maximalgebot von DM 560.000 ausgestattet hatte. Der Weg war kurz, ich war schnell draußen, nachdem ich noch die mit dem Transparent zum schnellen Platznehmen und die anderen zur Zurückhaltung gedrängt hatte. Body-Builder der gepflegten Sorte hatten mich gleich beim Aufzug, während ich noch unsere Parole: "Anklamer 54 - Nichts für Spekulanten" den Hineindrängenden zurief. Sie ließen mich alleine fahren, so dass ich die Auktion in der Lobby verfolgen konnte. Die dicken Hunde kamen spät, manche erst von ihren Leuten per Handy herbeigeholt, sobald "ihre Häuser" zum Aufruf gebracht würden. Manche Studis aus Westdeutschland, auch der Papi, der unser Haus mit seinem Sohn bereits vorbesichtigt hatte, locker, nur mal sehen, was zum Wohnen, was zum Ausprobieren, der Sohn studierte Architektur, dieses Mal ohne Objekt, indifferent wie beim Schaufensterbummel. Die von oben Kommenden fragte ich jeweils nach der derzeitigen Losnummer; unsere rückte langsam näher. Während es bei mir knisterte, schien es für die Investoren die gewöhnlichste Sache dieser Welt, Wohnraum zu erstehen. Die verbliebenen Anklamer entrollten das Transparent und wurden freundlich bestimmt hinauskomplimentiert, und berichten schon: Das Haus ist weg. Wir konnten gar nicht so schnell schauen, wie sich zwei andere Bieter an unserem Limit vorbeikatapultierten. Der Hammer fiel bei DM 650.000. Wir fuhren wieder zu uns an den ehemaligen Mauerrand.

 

 

Food Coop

1995 entstand die Idee, in den Räumlichkeiten der ehemaligen Gewerberäume im Souterrain eine Food-Coop (Einkaufsgemeinschaft für ökologische Lebensmittel) zu gründen. Da sich die Räume in schlechtem Zustand befanden, waren sie für die gewerbliche Nutzung nicht mehr attraktiv, für uns jedoch eine willkommene Gelegenheit, um uns wohnortnah und preiswert mit ökologischen Lebensmitteln zu versorgen. Nun stellte sich die Frage, wie wir der Räume habhaft werden könnten. Zaghafte Anfragen beim damaligen Vermieter, der WBM, verhießen nichts Gutes, so dass wir auf die illegale, beziehungsweise geduldete Nutzung zurückgreifen mussten. Wir begannen also mit der Reinigung und der Entrümpelung der Räume. Vorgefundene Objekte ließen sich rasch in Ladentisch, Regale und Sitzgelegenheiten umfunktionieren. Die Mitglieder der Einkaufsgemeinschaft trafen sich einmal pro Woche zur Öffnungszeit, um die Waren zu verteilen und organisatorische Dinge zu besprechen. Wer etwas mehr Zeit mitgebracht hatte, blieb ein bisschen länger, konnte im Hof Tee trinken und ein paar Neuigkeiten austauschen. Ende 1998 kam dann vom Vermieter die Aufforderung das "illegale Gewerbe" zu beräumen. Jetzt ist es Ende Juli 99 - die Räume haben offiziell keine neue Nutzung erhalten. Glücklicherweise hat Guido die Sache in die Hand genommen und lässt die ein oder andere Party steigen.

Doch auch die Zeit der tanzenden Grillen wird schnell vergehen. Mit der Sanierung des Hauses wird die Zeit der Ameisen wieder anbrechen, denn wofür soll ein Haus schon dasein, wenn nicht um Geldvorräte anzulegen?

 

 

Mobile Hochgeschwindigkeits-

agentur Windhauch

Mitte ist out, Mitte ist in. Der Friedrichshain kommt, so wird gesagt, nachdem Mitte und Prenzlauer Berg zugeschissen sind mit langweiliger Kneipenscene. Einheitlich perfekt organisierter Massenbetrieb. Die Gemeinde zieht an Orte, die einen Freiraum für Entwicklung und Unvorhergesehenes lassen.

Es ist ein gewöhnlicher Donnerstag im November. Ein ranziger Lieferwagen hält vor der Anklamer 54. Herausgehüpft kommen sieben junge Leute und verschwinden im Keller. Auch in Kellern kann man mit Sonnenbrillen arbeiten. Ein kurzer Check und die Location ist für gut befunden. Der Keller hat zwei Ausgänge, Strom und Wasser, was will man mehr. Die Bauabteilung beginnt fieberhaft mit den notwendigen Arbeiten, Akkuschrauber jaulen, Schallschutz muss her, die Fenster werden mit herumliegenden Brettern verschraubt, dann Dämmstoffe und noch eine Lage Bretter. Das soll richtig laut werden. Geladen sind zwei Bands, die Auftrittserfahrung brauchen und DJs, die was wagen wollen.

Die Performanceleute besprechen die Raumaufteilung und den Ablauf der Veranstaltung. Eine Minibühne wird gebaut, die schroffen Wände liebevoll dekoriert, auch der Röhrende Hirsch in Öl auf Leinwand mit Goldrahmen bekommt seinen Platz. Der Versorgungskeller ist die Umkleide. Schnell muss es gehen und die Vorbereitung darf nicht zu aufwendig sein. In der Regel laufen an diesen Orten maximal 1-3 Parties. Die Flyer sind schon fertig, die auf den üblichen Wegen der Gemeinde zukommen. Denn diese Ankündigung muss man vergeblich in den Berliner Anzeigern suchen.

Das Konzert war ein voller Erfolg. Ca. 150 Menschen waren auf knapp 50 qm versammelt. Ruhestörung gab es keine. Der Getränkeverkauf hat die Selbstkosten gedeckt und ein Polster für die nächste Veranstaltung hinterlassen.

Zur Zeit ist eine Ausstellung in Vorbereitung, an der teilzunehmen alle Hausbewohner aufgerufen sind.