Auflösung hat seine Phasen, das Sichauflösen und das Aufgelöstsein. Erst in der Auflösung finden die Elemente zu einem Zustand, der das noch eben Zerfallene erkennen läßt und gewinnen durch diesen Prozeß erkennbare Konturen.

Die Auflösung der Mieterinnengemeinschaft - die wir letztlich selbst herbeigeführt haben - ist eine Tatsache, die zum Vorteil ausschlagen kann:

Von den Profitinteressen und privaten Eigeninteressen hat sich jede Kaschierung gelöst. So können nun die verbliebenen Mieterinnen erneut beginnen, über anhängige Schritte sich auszutauschen.

Von Sanierung im elementaren Sinne ist nicht mehr die Rede, auch die beobachtbaren Taten sprechen für sich. Das ist gut. Dafür hat sich ein beredtes Bild in den Vordergrund geschoben: Eine Eigentümer-Soirée auf der Dachterrasse. Mit diesem Bild vor Augen läßt es sich gut Gegenbilder entwerfen, wiewohl es ja an Phantasien der Mieterinnen in den letzten Jahren nicht gemangelt hat, nur daß sich an solchen jetzt konkreten Eigentümerphantasien die Art von "Lebensentwurf" ermessen läßt, mit dem dieses Viertel - es nicht allein, aber es bleibt der Brennpunkt unserer Betrachtungen - ums nackte Überleben kämpft. Es ist derzeit ein einsamer Kampf: Wie in unserer unmittelbaren Nachbarschaft "Kultur" durch einen ähnlichen Typus auf das engste und verwertbare Maß zugeschnitten wird: Bevor Epiphyten in den Boden eindringend Halt und dauerhafte Nahrung gewinnen, werden sie auf kontrollierbare Größe zurück gekappt, nicht ausgemerzt, mit ihren überraschenden Trieb- und Saugentwürfen läßt allemal sich noch Vielfalt und Toleranz repräsentieren. So wird Lebensraum zugeschnitten, den wechselnden Verwertungsrichtlinien des Kapitalmarktes gehorchend, und an ihnen wird auch Identität bemessen. Wieder sind wir bei der Dachterrassen-Soirée: Solche Identität bemißt sich an verdrängten Konflikten und bricht Differenz in der Art epiphytischer Stutzung. Das ist das Thema: Zwanghafte Entmischung.

Wir haben bereits kurz angedeutet, daß wir der Meinung sind, daß ein solches Viertel, ein solches Haus einer epischen Ebene bedarf, um hinreichend erfaßt zu werden. Wir haben gute Möglichkeiten, diesen Bereich aufzudecken. Dieses Haus läßt sich auf eine historische und architektonische Erzählung ein, sofern es nur befragt wird. Das Beängstigende ist die Mentalität der Viertel- und Hausbewohnerinnen. Als sie begannen, Bewegungen im Haus zu vollführen, die gleichsam die Mauern zum Reden brachten, waren sie in dem Moment zum Schweigen bereit, als eine autoritär formulierte Meinung ausschmückendes, auf Wirkung und Nachhaltigkeit bedachtes Erzählen für irrelevant erklärte. Phantasien sich zu erlauben - das ist die frustrierende Erkenntnis - gilt uns als realitätsfern und folglich irrelevant. Die folgenreichste Ost-West-Erfahrung besteht in der Gleichung Eigentum = Autorität = Recht, und Recht ist das schlechthin Unbefragbare. Jede Phantasie, die sich der herrschenden Ausschlußlogik nicht gefügig einpassen läßt, ist Abweichung von Machbarem und steht unterm Verdikt Aussondern: Da! Und sie strebten den Hang hinauf, durch den Weinberg mußten sie ihn stützen, immer wieder schielte er auf die Aktenmappe, der seine Sorge mehr galt als seinem kranken Herzen.
Immer wieder müssen wir es aufrollen, wie einen täglich gebrauchten Konspekt, der den Novizen, bevor sie das Unberührbare sehen dürfen, allmorgendlich vor Augen gehalten wird, um sich der Regeln zu vergewissern und allererst den Pflichten ins Auge zu blicken, bevor er zusammengerollt wird. Wir können in einem Stadtplan lesen, wir können aber auch uns auf einen erhöhten Aussichtsplatz begeben und von oben her Maß nehmen; wir können Charakteristisches und Typologisches ins scheinbar amorphe Geflecht einschreiben, wir können Spuren von Geschichten und Geschichte entziffern. Der Stadtbesucher schreibt andere als der Investor, andere als der Bäcker oder der Hausbesetzer.

Im Haus zu lesen, heißt in entspannter selbstvergessener Haltung seinen Geschichten lauschen: Die Vielfalt seiner Stimmen, untergegangen in den stummen Schreien der Abtransportierten, den nachbarlichen Übernahmegelüsten, in den immer obsiegenden verordneten Zurichtungen, braucht zu ihrer Wahrnehmung aufs Hören nicht sich zwingende, dem Lauschen sich anvertrauende Menschen - in den alten Häusern im Osten hat sich der vor der herrschenden Menschenmacherei duckende Schweiß- und Rekonstruktionsgeruch festgesaugt, und nach kaum zählbaren Jahren entspannterer Aneignung setzt die bürokratisch-industrielle Routine ihre auf Einpassung oder Aussonderung normierten Aggregate in Gang: Wir sahen sie kommen am Tag der Besichtigung, und mit der Maß nehmenden Vernunft streckten sich die Körper entlang der sich addierenden Raumnutzungsmeter: Sie brauchten nicht den First besteigen, um dem Haus ihre Bedeutung von oben her zu diktieren. Das Bild der Dachterrassen-Soirée, das uns damals noch unbekannt war, hätten wir in ihrer Haltung bereits lesen können.
Wir klagen uns an, nicht genügend zusammen gestanden zu haben, kleinmütig gewesen zu sein; wir klagen uns an, unsere Sinne nicht scharf und nicht genügend geistesgegenwärtig gewesen zu sein; wir müssen uns vorhalten, den flüchtigen Bildern nicht vertraut zu haben, und immer wieder müssen wir bekennen, unser Leben außerhalb unserer selbst bequem und möglichst folgenlos einrichten zu wollen.

Eigentum