bio-adapter

bio-adapter appendix A zu "Die Verbesserung von Mitteleuropa, Roman" (Reinbek 1969, zuerst in manuskripte, 1962-67) von Oswald Wiener, wiederveröffentlicht in: Florian Rötzer und Peter Weibel (Hrsg.): Cyberspace. Zum medialen Gesamtkunstwerk, München, Wien 1993, S. 114-126

Immer wieder auftauchender Bezugspunkt, insb. von Peter Weibel: "Dieser literarische Entwurf ist buchstäblich eine sowohl technisch wie auch konzeptionell voll ausgereifte Darstellung der virtuellen Realität und des Cyberspace." (ebd., S. 16). Er schildert in seinem Beitrag "Virtuelle Realität: Der Endo-Zugang zur Elektronik (S.15- 46) sehr schön das Ineins von Körper-Kunst-Aktionismus und Körperablösungsstrategien einer kybernetisch infizierten Avantgarde im Wien der sechziger Jahre, Wiener Aktionismus genannt. Weibel nennt sie zurecht "körperauflösende Projekte".

Der enge Zusammenhang dieses mit dem Fluxus verwandten Kunsthandelns mit dem "Einbruch" von Zufallsgeräuschen und alltäglichen Klangeffekten und der Auflösung der künstlerischen Medienabgrenzungen in den Arbeiten John Cages und seiner Mitstreiter bleibt im Auge zu behalten. Als erstes Happening wird das "Klangstück 4' 33" bezeichnet: In diesem Stück hat ein Pianist 4 Minuten und 33 Sekunden lang auf dem Podium zu sitzen, ohne dabei die Tastatur zu bedienen. Der Klang des Stücks besteht allein aus den durch das Publikum verursachten Geräuschen. Eine Verbindungsfigur zwischen Weibel und Cage: Nam June Paik. Parallel zu den Amerikanern arbeiteten die rühm, brauer, fuchs, wiener als Jazzbläser, rainer, dann artmann u.a. an "geräuschsymphonie", "ein-ton-musik", formulieren das verloren gegangene "coole manifest", (Siehe das Vorwort von Gerhard Rühm zu "Die Wiener Gruppe. Erweiterte Neuausgabe, Reinbek 1985), kollagieren, montieren, rasseln konkrete poesie und werden zur "Wiener Gruppe"

Oswald Wiener:
"der bio-adapter bietet in seinen grundzügen die m.e. erste diskutable skizze einer vollständigen lösung aller welt-probleme. er ist die chance unseres jahrhunderts: befreiung von philosophie durch technik. sein zweck ist es nämlich, die welt zu ersetzen, d.h. die bislang völlig ungenügende funktion der 'vorgefundenen umwelt' als sender und empfänger lebenwichtiger nachrichten (nahrung und unterhaltung, stoff- und geistwechsel) in eigene regie zu übernehmen - und seiner individualisierten aufgabe besser zu entsprechen, als dies die 'allen' gemeinsame, nunmehr veraltete sog. natürliche umwelt vermag." (ebd., S. 114)

Wenn die Körper verschwinden, wo tauchen sie auf oder: Wo werden sie aufgehoben, bis man sie zu Grabe trägt? - Natürlich im Text, im altvertrauten Universum des Textes, der sich der digitalen Zertrümmerung entgegen an seine Lesbarkeit halten wird.

Übrigens erhält man durch Auschälung eines Knochens aus dem Schinken einen Knochen, nichts weiter. Die Umwandung des Knochens mit fremden Fleisch hinterläßt einen Nachgeschmack , wie zu den Zeiten, als Großmutter einen unverhofften Braten auf den Tisch brachte, niemand an dessen Herkunft rührte, um gedankenverloren sich dem Genuß zu ergeben. Nun könnte man einwenden, daß es sich "nur" um einen Appendix handle, - doch das "abhauen aus der sprache" vollzieht der Autor durch Sprache und nicht durch den Apparat, die bewußtseinserweiternde Fähigkeit der Sprache, die er exerziert, gebiert den Appendix, der ohne sie zum fleischlosen Knochen vereinsamt.

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